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Michel Vaillant


Der jugendliche Held

Michel Vaillant, von Beruf Rennfahrer, gab am 7.2.1957 als jugendlicher Trompetenvirtuose sein Comicdebüt. Michel erschien erstmals im achten Bild der vierseitigen Kurzgeschichte K1 - Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, die von Jean Graton im französischen Comic-Magazin Tintin publiziert wurde. Der ehemalige Werbegraphiker, hatte sich bei Tintin auf die Produktion von Sport-Comics spezialisiert (siehe Porträt Graton)

Mit einer Reihe von 5 Kurzgeschichten wurde zunächst >getestet, ob der jugendliche Rennfahrer bei den Tintin-Käufern gut ankam. Nachdem dies der Fall war, startete am 1.1.1958 , diesmal im belgischen Tintin, die erste albenlange Vaillant-Geschichte: Die große Herausforderung.

Ein Familienepos

Michel Vaillant (vaillant = tapfer) ist der jüngste Sprößling des französischen Automobilfabrikanten Henri Vaillant. Sein sechs Jahre älterer Bruder Jean-Pierre, steuert zwar in den ersten Alben ebenfalls noch Vaillante-Renner, findet später aber seine echte Passion als Firmenchef und Rennleiter. Mutter Elizabeth Vaillant erledigt den Haushalt und ist in steter Sorge um das Wohlbefinden der beiden Söhne in ihren rasenden Kisten.

Bereits im ersten Album wurde von Graton der amerikanische Rennfahrer Steve Warson eingeführt, der Vaillant zunächst mit der Attitüde des coolen Superkriegers (War-Son = Kriegssohn) gegenübertrat. Nach 62 Seiten wurden die beiden Piloten zu Freunden fürs Leben. Warson, mit der blonden Bürstenfrisur, wuchs nach und nach in die Rolle des temperamentvollen Sidekicks hinein und avancierte ab den späten 60ern zum notorischen Schürzenjäger. Durch seine Fehler und Schwächen verlieh er dem Geschehen eine realistische, auch humoristische Note und war regelmäßig Auslöser für spannende Abenteuer (A9 - Verfolgungsjagd in Amsterdam).

Konservative Ideale

Michel Vaillant wurde als perfekte Heldenfigur etabliert, der durch Selbstdisziplin und Pfadfindertugenden ein Beispiel für die jungen Tintin-Leser abgeben sollte. Graton entwickelte zunächst ein Comic-Universum von betont konservativer Gesinnung. Mit patriarchalischer Strenge herrschte Henri Vaillant über Firma und Familie, Untergebene waren stets willige Befehlsempfänger, Frauen agierten im Hintergrund und unterhielten sich über Stricktechniken.

In den späten 60er Jahren wurden diese Rollenmodelle und sozialen Leitbilder modernisiert, die Soap-Opera-Elemente traten in den Hintergrund. Henri Vaillant mutierte zum schrulligen Senior (er stürzte im Hof seiner Fabrik vom Rad) und verlor seine dominante Stellung. Übrig blieb eine gedämpft konservative Grundstimmung, die aber in den aktuellen Geschichten kaum noch wahrzunehmen ist.

Der Zeichner und Autor Graton

Die besondere Qualität von Gratons Arbeit lag zweifellos im graphischen und erzählerischen Bereich. Der ehemalige Werbegraphiker kultivierte als Zeichner einen detailverliebten, bestechend klaren Stil, der der Tintin-Tradition der 'Ligne claire' (dt.: klare Linie) folgte. Das legendäre Magazin wurde natürlich durch Hergès Tintin, aber ebenso durch realistische Abenteuer-Serien wie Blake und Mortimer, Rick Master oder Dan Cooper geprägt.

Mit großer Präzision und in dynamischen Layouts dokumentierte Graton über Jahrzehnte hinweg die Entwicklung des internationalen Rennzirkus'. Seine Rennszenen sind von aggressiver Wucht, die obligatorischen Crashs werden mit Hilfe großformatiger Lautmalerei zu Hollywood-reifen Action-Szenen stilisiert.

Darüber hinaus erwies sich Jean Graton vor allem in den 60ern und 70ern als versierter Texter, der für seine umfangreichen, handlungssatten 62-Seiten-Alben vielschichtige Plots erfand und ungewöhnliche Themen wählte. Die penibel ausgestalteten Szenarien, die er mit seiner Frau Francine erdachte, erhielten ihre besondere Qualität durch den Wechsel zwischen melodramatisch-humoristischer Soap Opera und dem spannenden Geschehen auf der Piste.

Bis in die frühen 60er Jahre bewältigte Graton als Zeichner und Szenarist ein gigantisches Arbeitspensum und realisierte im Alleingang bis zu 100 Comicseiten pro Jahr, wobei er die Wochenenden außerdem oft an den Rennstrecken der Welt verbrachte. Ab den frühen 60er Jahren wurde er durch Assistenten wie Christian Denayer entlastet, der jahrelang für die Gestaltung der Fahrzeuge zuständig war.

Das klassische Jahrzehnt - die 60er Jahre

Gratons Zeichnungen aus dem klassischen Vaillant-Jahrzehnt, den 60er Jahren, entfalten auch heute noch eine intensive Wirkung. Die ausgereiften, atmosphärisch dichten Panels von A5 - Die verrückte 13 oder A13 - Zwischen Himmel und Erde sind mit großer Perfektion gestaltet. Selbiges gilt auch für die packenden Szenarien, die zuweilen durch ihre ungewöhnliche, rennferne Thematik überraschen - siehe A12 - Die Ritter von Königsfeld (Steve und Michel in der Burg) oder A16 - Das Geheimnis von Kilometerstein 357 (Steve und Michel auf dem Land).

Graton hat mit diesen Arbeiten Maßstäbe gesetzt und die Möglichkeiten des Mediums Comic in exzellenter Weise genutzt (siehe die spektakuläre Mach-1-Sequenz aus A14 - Mach 1 für Steve Warson - Abbildung rechts). Obwohl er bei der graphischen Ausgestaltung der Geschichten seit den späten 60er Jahren verstärkt von den Mitarbeitern seines Studios unterstützt wurde, war er derjenige, der den Stil der Serie prägte, die Seiten-Layouts entwarf und die Hauptfiguren zeichnete. Es gelang dem Studio Graton, den Vaillant-Geschichten jahrelang einen homogenen Gesamteindruck zu verleihen.

Ein neuer Stil

Bereits in den späten 60ern begann sich Gratons Zeichenstil zu verändern. Die "Klare Linie", streng und konzentriert, wurde nach und nach aufgefrischt. Die Layouts wurden offener, die Anzahl der Bilder pro Seite verringerte sich, die Zeichnungen wirkten moderner und dynamischer,und außerdem wurde der Umfang der Alben von 62 auf 44 Seiten reduziert. Dies geschah auch auf Veranlassung von Greg, dem neuen Chefredakteur von Tintin, der das angejahrte Magazin zu dieser Zeit bewusst entstaubte, um es veränderten Lesegewohnheiten anzupassen. Neben den imposanten Zeichnungen des Ausnahmekünstlers Hermann (Andy Morgan) beispielsweise, der Tintin jahrelang prägen sollte, wirkte die Klare Linie zunehmend antiquiert.

Bis Mitte der 70er Jahre entstanden in diesem modernisierten Stil einige der besten Vaillant-Alben wie zum Beispiel A19 - 5 Mädchen im Rennen oder A22 - Rush (siehe Abbildung links). Parallel dazu startete Graton die Produktion von Vaillant-Kurzgeschichten, die unter anderem in der Tintin Sèlection, dem Taschenbuch-Ableger des Magazins, erschienen (fast alle Kurzgeschichten wurden in den ZACK-Publikationen des Koralle-Verlags abgedruckt).

Mitte der 70er Jahre verließ Graton nach Auseinandersetzungen den Tintin-Verlag Lombard, für den er zwei Jahrzehnte gearbeitet hatte. Er realisierte zunächst drei Alben beim Verlag Dargaud. Dann wechselte er zum Hamburger Koralle-Verlag, wo er für das ZACK-Magazin und dessen Ableger eine erhöhte Anzahl von Vaillant-Seiten produzieren musste (
zuzüglich der Seiten für die Neben-Serie Julie Wood). Das Studio Graton realisierte zu dieser Zeit bis zu fünf Comic-Alben pro Jahr. Die Bilder pro Seite wurden nochmals reduziert, die Plots von langen Rennszenen dominiert. Für viele Vaillant-Fans sind die Geschichten, die während dieser Zeit entstanden, nicht befriedigend. Anfang der 80er Jahre stellte der Koralle-Verlag seine Comic-Aktivitäten ein. Nach einem kurzen Zwischenspiel beim Novedi-Verlag publizierte Graton danach die Vaillant-Alben im eigenen Verlag 'Graton Éditeur'.

Die jüngere Vergangenheit

1993 wurde Jean Graton 70 Jahre alt. Nachdem in A56 - Der Herr der Leader Steve Warson auf den Chefsessel des jahrezehntelang bekämpften Leader-Konzerns gewechselt war, gab Graton die Arbeit an den Vaillant-Szenarien an seinen Sohn Philippe ab, einen Fotographen und Journalisten. Philippe Graton verankerte das Rennfahrer-Epos wieder mehr in der Realität und steuert seitdem solide, gut recherchierte Szenarios bei, die auch von sozialkritischen Untertönen geprägt sind (A57 - Eine Spur von Jade). In einigen seiner Alben finden sich deutliche Reminiszenzen an die klassischen Vaillant-Abenteuer der 60er Jahre.


Nach einer missglückten Hüftoperation Ende der 90er Jahre kehrte Jean Graton unter großen Schwierigkeiten an den Zeichentisch zurück. Seit A65 - Der Wettkampf wurden die Vaillant-Alben vom dreiköpfigen Zeichnerteam Christian Papazoglakis / Robert Paquet / Nedzad Kamenica realisiert, dem Jean Graton allerdings immer noch als Berater zur Seite stand.

Die Gegenwart

2012 wurde Michel Vaillant nach einer fünfjährigen Pause neu gestartet. Philippe Graton hatte das alte Studio Graton aufgelöst und die Verlagsgeschäfte 2010 an Dupuis übergeben. Von der Verlagsarbeit befreit, konnte er alle Energie in die Weiterführung des Michel Vaillant Œvres stecken. Er wollte aber nicht einfach mit "Album Nr. 71" weitermachen, sondern etwas Neues auf den Weg bringen. Das alte Studio hatte handwerklich gute, aber zuletzt recht uninspirierte Arbeit abgeliefert. In diesem Stil wollte Philippe nicht weiter machen.

Also suchte er sich einen Co-Writer für die Szenarios und ein neues Zeichnerteam. In neuem Gewand, aber ohne das alte Vaillant-Universum zu verleugnen, erschien am 16. November 2012 das neue Album - die Nr. 1 der Saison 2: A2.01 - Im Namen des Sohnes.

Die uns wohlbekannten Protagonisten sind sichtbar gealtert. Die mittlerweile erwachsenen Söhne von Jean-Pierre (Jean-Michel) und Michel (Patrick) spielen inzwischen eine wichtige Rolle im familiären Gefüge der Vaillants. Der Hauptschauplatz wurde von Le Mans und Formel 1 in die Welt der World Touring Car Championship (WTCC) verlagert, wo Michel fortan um den Titel des Tourenwagen-Weltmeisters kämpft. Aber das Wichtigste ist, dass die Familie nach wie vor eine Hauptrolle in der Story spielt. Jean-Michel ist Entwickler im Vaillant-Werk. Und obwohl Jean-Pierre das Unternehmen leitet, hat natürlich Familienoberhaupt und Großvater Henri noch ein gewichtiges Wort mitzureden. Michel ist nicht nur Rennfahrer, sondern auch in der Rolle des Familienvaters gefordert, ein erzieherisches Problem zu lösen.

Im Interview mit Matthias Hofmann
(ZACK #164 02/2013) sagte Philippe Graton, dass der Handlungsbogen auf 6 Alben ausgelegt ist. "Man kann diese Entwicklungen nicht in einer einzelnen Geschichte erzählen. Das muss wie in einer guten TV-Serie in mehreren Folgen passieren, die aufeinander aufbauen." Geplant ist, etwa ein Album pro Jahr zu produzieren.


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