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 A5 - Die 13 ist am Start


A5 - Special

Dieses Album unterscheidet sich stark von den Alben A1-A4, in denen entweder Fahrerwettkämpfe oder eine Krimihandlung für Spannung sorgten. Tatsächlich hat Die 13 ist am Start über weite Strecken den Charakter einer Dokumentation, die kenntnisreich und detailliert über das Le-Mans-Rennen informiert. Vermutlich existiert kein anderes fiktives Werk (ob Comic, Roman oder Film), in dem das historische Le Mans und die Rennatmosphäre so authentisch eingefangen wurden.

Über seine künstlerischen Qualitäten hinaus ist das Album daher ein spannendes Zeitdokument für Motorsport-Enthusiasten, das bleibenden Wert besitzt. Nie wieder hat Jean Graton ein einzelnes Rennen derart penibel und ausführlich dokumentiert wie in
Die 13 ist am Start. Dass Graton diesem motorsportlichen Ereignis in besonderer Weise verbunden ist, zeigt sich auch darin, dass es 17 Vaillant-Geschichten mit Le Mans-Bezug gibt (entstanden zwischen 1957 und 2007). Auch biographisch hat Jean Graton einiges mit Le Mans gemeinsam: er wurde zehn Wochen nach dem ersten Rennen geboren, das am 26. Mai 1923 stattfand.

Die 13 ist am Start erschien innerhalb der ZACK-Edition pünktlich zum 90. Jubeltag des Maestros, den dieser am 10. August 2013 beging.




Der Autor Graton am Beispiel von "Die 13 ist am Start"


Prolog und erster Akt

Jean Graton ist nicht nur ein erstklassiger Zeichner, sondern auch ein hervorragender Autor. Am Beispiel von Die 13 ist am Start, einer besonders gut konstruierten und erzählten Geschichte, kann exemplarisch die Qualität von Gratons Szenarios verdeutlicht werden.

Die 13 ist am Start beginnt mit einem zweiseitigen Prolog, in dem Michel Vaillant nach einem katastrophalen Crash mit einem Boliden, der die Nummer 13 trägt, auf der Zielgeraden von Le Mans zu Tode kommt. Ein entsetzter Mann teilt uns diese schreckliche Nachricht mit: "Michel Vaillant ist tot!" Da er dabei Blickkontakt mit dem Leser herstellt, wird die Schockwirkung noch verstärkt.

Dieser spektakuläre Einstieg in das neue Vaillant-Abenteuer erfüllt zwei Funktionen: Zum einen sollte er den Tintin-Leser der frühen 60er Jahre, wie damals üblich, mit einem spektakulären "Cliffhanger" dazu bringen, die Geschichte im nächsten Heft weiterzuverfolgen (wo er dann erfuhr, dass wir zum Zeugen eines Alptraums von Madame Vaillant wurden und Michel putzmunter ist). Zum anderen wurde dem Leser durch diese kurze Zwei-Seiten-Episode aber auch signalisiert: Pass auf, hier passiert noch was! Das war in diesem speziellen Fall notwendig, weil Die 13 ist am Start monatelang in Tintin lief, ohne dass es (wie in den vorigen Alben) spektakuläre Rennszenen oder eine dramatische Krimihandlung gegeben hätte. Graton musste den Leser bei der Stange halten und ihm früh signalisieren, dass Gefahr in der Luft liegt.

Nach dem dramatischen Einstieg liefert Michel auf Seite 5 zwar eine "beruhigende" Erklärung ab, die den Alptraum seiner Mutter ins Reich des Fiktiven verweist (es starten keine Wagen, die die Nummer 13 tragen), doch nun lastet eine irrationale, alptraumhafte Gefahr auf dem Geschehen - zumal der zeitgenössische Leser die Episode auf der Zielgerade wohl bewusst oder unbewusst in Beziehung gesetzt hat zu der großen Le Mans-Katastrophe des Jahres 1955, die damals erst wenige Jahre zurücklag. Seinerzeit war ein Bolide auf der Zielgeraden von der Strecke abgekommen und hatte im Tribünenbereich mehr als 80 Zuschauer getötet.

Jean Graton kann sich (zusammen mit seiner bewährten Co-Autorin und Ehefrau Francine) nach den ersten dramatischen Seiten die Zeit nehmen, die Geschichte in aller Ruhe weiterzuentwickeln. Zuerst werden Zug um Zug die Protagonisten und Antagonisten eingeführt: Francoise Latour, die Bianchi-Brüder sowie die internationalen Rennstallbetreiber, die mit den Vaillants in Le Mans konkurrieren werden. Auf den Seiten 14 und 15 werden wir dann endlich mit dem echten Antagonisten dieser Geschichte konfrontiert, dem Piloten "Bob", der durch seine Gesichtslosigkeit besonders bedrohlich und unheimlich wirkt. Seine düsteren Anspielungen und die Farben seines Wagens (rot-weiß) nehmen unmittelbar auf den alptraumhaften Prolog Bezug und konkretisieren erstmals die Gefahr, die auf Michel Vaillant zukommen wird.

Erzählstrategie und Drei-Akte-Struktur

Der Leser besitzt zu diesem Zeitpunkt mehr Informationen als die Protagonisten der Geschichte, die Vaillants, ist ihnen also voraus. Er weiß, dass die Gefahr aus dem Alptraum real ist. Er möchte wissen, wie die Helden der Geschichte ihr Informationsdefizit beseitigen und die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, meistern werden. Diese Art von Spannungserzeugung wird, frei nach Alfred Hitchcock, der die entsprechende Erzählstrategie zur Perfektion entwickelt hat, als "Suspense" bezeichnet.

Mit dem Auftritt des Schurken Bob Cramer endet in Die 13 ist am Start nach einem Viertel der Handlungszeit pünktlich der erste Akt dieser Geschichte, der vor allem der Vorstellung der handelnden Personen gewidmet war (Steve Warson, der in der Geschichte später noch eine wichtige Rolle spielt, muss nicht mehr extra vorgestellt werden). Die Handlung des Albums ist nahezu perfekt nach dem Drei-Akte-Prinzip des klassischen Dramas aufgebaut – einem dramaturgischen Grundgerüst, an dem sich auch die meisten kommerziellen Filme orientieren. Der Zuschauer/Leser nimmt diese dramaturgischen Strukturen zwar nicht bewusst wahr, spürt aber in der Regel, wenn sie nicht funktionieren, weil dann die Spannung nachlässt.


Einstieg in den Zweiten Akt

Ab der Seite 16, also zu Beginn des zweiten Aktes, werden zunächst einige neue Vaillantes vorgestellt, darunter auch der spektakuläre Le Mans-Bolide, dem Graton fast sechs Seiten widmet. Es folgt eine humorigen Episode (Michels Fotosession), die das bislang ernste Geschehen etwas auflockert und den Leser in eine entspanntere Stimmung versetzt - weshalb die dramatische Zuspitzung auf Seite 31 um so effektiver ist, weil uns hier wieder der ganze Ernst der Situation vor Augen geführt wird. Nach den letzten Rennvorbereitungen erfahren Henri und Michel nämlich, dass in Le Mans durchaus ein Wagen mit der Nummer 13 starten wird. Wie schon am Ende des ersten Aktes (Vorstellung des geheimnisvollen gegnerischen Piloten) wird auch an diesem wichtigen Punkt wieder direkt Bezug genommen auf den Prolog der Geschichte, den Alptraum Elisabeths.

Die Szene auf Seite 31 teilt den Plot der Geschichte in zwei gleich lange Teile und ist das, was in der Dramaturgie auch als "Zentraler Punkt" bezeichnet wird - der Augenblick, in dem die Handlung eine ganz neue Wendung nimmt und die Dramatik dadurch weiter verdichtet wird. In unserem Fall erkennen die bislang ahnungslosen Protagonisten schlagartig, dass die scheinbar fiktive Gefahr, die von der ominösen 13 ausgeht, real ist. Die Vaillants sind jetzt genauso gut informiert wie der Leser, der bislang einen Informationsvorsprung hatte. Damit wird der "Suspense", der die erste Hälfte der Geschichte geprägt hat, von der Spannung der zweiten Hälfte abgelöst. Leser und Protagonisten sind auf derselben Höhe, was die Qualität ihrer Informationen betrifft. Die Spannung resultiert jetzt aus der Frage, wie die Vaillants die Bedrohung, die von der 13 ausgeht, meistern werden.


Die Spannung verdichtet sich

Während der zweiten Hälfte des zweiten Aktes zeigt uns Jean Graton mit fast dokumentarischer Sorgalt die Vorbereitungen auf das Le-Mans-Rennen und klärt uns außerdem über die Identität und die Motivation des Fahrers auf, der mit der Nummer 13 starten wird: Es handelt sich um Bob Cramer, der in Le Mans mit seinem alten Widersacher Steve Warson abrechnen will. Die zunächst unbestimmte Gefahr, die von der 13 ausgeht, ist endgültig konkretisiert. Graton nimmt sich jetzt noch die Zeit, uns in einer schönen, drei Seiten langen Sequenz den wichtigsten Handlungsort, die Strecke von Le Mans, zu präsentieren. Damit sind alle wichtigen Charaktere, Fahrzeuge und Schauplätze genau beschrieben. Der Leser besitzt die nötigen Informationen, um die Hintergründe der Geschichte zu verstehen, und kann sich auf den Höhepunkt konzentrieren, auf den Graton konsequent hinarbeitet.


Dritter Akt und Finale

Nachdem das dramatische Endes des zweiten Aktes mit Bob Cramers Kampfansage auf Seite 50 erreicht ist, startet auf Seite 51 der dritte und letzte Akt der Geschichte, der ganz dem Rennen in Le Mans gewidmet ist. Der Leser fiebert diesem entgegen, da er längst begriffen hat, dass es zu einer brutalen Konfrontation zwischen Bob Cramer und den Vaillante-Boliden kommen wird. Der Leser hat erkannt, dass Michel Vaillant - obwohl die Angrife Cramers nicht ihm gelten - ganz konkret der Tod auf der Strecke droht und dass Madame Vaillants Alptraum schreckliche Realität werden kann.

Auf Seite 52, zu Beginn des Rennens, reicht Jean Graton mit einem Bild des Le Mans-Kurses eine letzte Information für den Leser nach (alle wichtigen Infos zum Rennen wurden klugerweise in kleinen Dosen vermittelt) und schildert dann detailliert den weiteren Rennverlauf. Das Duell zwischen Cramer und Warson sorgt für zunehmende Spannung. Auf den Seiten 60 und 61 kommt es schließlich zum dramatischen Finale. Hier wiederholt sich die fiktive Alptraumszene des Prologs in der Realität – allerdings in variierter Form, denn Michel Vaillant kommt diesmal nicht zu Tode.

In dramaturgischer Hinsicht schließt Jean Graton mit dieser Szene den Spannungsbogen, den er von der ersten Seite an aufgebaut hat. Die Geschichte ist so gut wie zuende, denn von dem Antagonisten, Bob Cramer, geht keine Gefahr mehr aus, da er das Rennen aufgeben musste. Es ist nur folgerichtig, dass die Handlung nach diesem Höhepunkt nur noch 1 1/2 Seiten weiterläuft und, als eine Art Kontrapunkt zu dem dramatischen, alptraumhaften Beginn, mit ein paar humorigen Pointen endet - zum einen mit der "Enttarnung" Francoise Latours, zum anderen mit einem Schlußkommentar von Mechaniker Joseph, der ein kleines Zahlenspiel präsentiert.

Graton verschwendet, nachdem die Haupthandlung ihren Höhepunkt erreicht hat, also keine Zeit mehr und führt die Geschichte zügig ihrem Ende zu. Das ist perfektes, ökonomisches Erzählen. Wenn dieser Band zu einem Klassiker avancierte, dann auch desehalb, weil hier nicht nur der Zeichner, sondern auch der Autor Graton (bzw. das Team Jean/Francine) eine perfekte, inspirierte Arbeit abgeliefert hat.


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